Typisch Junge, typisch Mädchen: Genderneutrale Erziehung
Erst im zweiten Lebensjahr versteht ein Kind, dass die Person im Spiegel es selbst ist. Nun erkennt es sich und andere Menschen auf Fotos und nennt sich selbst beim Namen. Langsam beginnt Ihr Kind zu begreifen, dass es ein Mädchen beziehungsweise ein Junge ist. Was es aber noch nicht versteht, ist, dass sich diese Eigenschaft nicht mehr verändert.
Kinder kennen in diesem Alter meistens ihr biologisches Geschlecht. Doch neben dem biologischen gibt es noch das soziale Geschlecht, das als „Gender“ bezeichnet wird. Damit ist gemeint, dass andere Menschen wie Eltern, Familie und Freund*innen bestimmte Vorstellungen davon haben, wie sich ein Mädchen oder ein Junge zu verhalten hat oder aussehen soll. Erwachsene beeinflussen Kinder oft unbewusst mit diesen Vorstellungen. Wir ziehen kleinen Mädchen eher die rosafarbenen Kleidchen an und schenken ihnen Puppen oder Spielküchen. Wir behandeln sie vielleicht behutsamer, während Jungs im Bagger-Pyjama ins Bett gehen, mit Holzeisenbahnen spielen und eher zum Toben und Wildsein ermutigt werden.
Tatsächlich ist das Spielverhalten von Jungen und Mädchen in den ersten beiden Lebensjahren fast gleich. Studien zeigen, dass Jungen genauso gerne Puppen bürsten und füttern wie Mädchen. Umgekehrt schieben auch Mädchen gerne Autos über den Fußboden und buddeln mit dem Bagger im Sand. Aber jetzt denken Sie mal kurz nach: Wie viele Puppen, kleine Töpfe und Küchengeräte hat Ihr Sohn zum Spielen? Und wie viele Autos, Fußbälle oder Dinosaurier finden sich bei Ihrer Tochter im Kinderzimmer? Nicht so viele? Ist das nun schlimm? Nein, aber schade, denn wenn wir unsere Kinder als das „typische Mädchen“ oder den „typischen Jungen“ ansehen und ihnen nur eine bestimmte Auswahl von Spielsachen und Kleidung geben, schränken wir sie ein.
Um den typischen Mädchen- und Jungenklischees etwas entgegenzusetzen, gibt es den Ansatz der „genderneutralen Erziehung“. Damit ist gemeint, dass gerade in den ersten Lebensjahren darauf geachtet wird, dass Jungen und Mädchen unabhängig von ihrem Geschlecht behandelt, jedoch in ihrer jeweiligen Individualität und Einzigartigkeit gesehen werden. Bei ähnlichen Spielangeboten und Kleidung in unterschiedlichen Farben, also jenseits von rosa und hellblau, können Kinder langfristig ihre eigenen Vorlieben und Interessen entwickeln. Hintergrund hierbei ist nicht, dass aus Jungen Mädchen gemacht werden sollen und umgekehrt. Genderneutrale Erziehung richtet den Blick auf das Kind und will ihm die Möglichkeit geben, die eigenen Fähigkeiten und Interessen unabhängig vom Geschlecht zu entdecken und sich ganz individuell zu entfalten. Kinder sollen sich nicht durch geschlechtsspezifische Zuordnungen in eine bestimmte Rolle gedrängt fühlen. Die Welt ist nämlich nun mal nicht nur schwarz und weiß – rosa und hellblau – weiblich und männlich. Kinderwelten sollen bunt sein. Und zwar in allen Bereichen. Je offener und freier sich Ihr Kind entwickeln kann, desto besser.