Streit und Gewaltfreie Kommunikation

Auseinandersetzungen lassen sich nicht vermeiden, aber es gibt Wege sie zu lösen ohne dabei laut zu werden.

Vater und Mutter streiten sich, das Kind ist dazwischen.

Friede, Freude, Eierkuchen? Warum Streit wichtig ist

Wo Leben ist, da gibt es auch Konflikte. Und daher kommt es natürlich in allen Familien mal zum Streit. Manchmal geraten die Geschwister aneinander, manchmal Eltern und Kinder, manchmal die Eltern untereinander, und dann gibt es Tage, da streiten alle miteinander. In vielen Auseinandersetzungen geht es darum, unterschiedliche Bedürfnisse in Einklang zu bringen. Ihrem Kind sind einfach andere Dinge wichtig als Ihnen. Während es vielleicht noch in Ruhe zu Ende spielen möchte, stehen Sie unter Druck, pünktlich aus dem Haus zu kommen. Kein Wunder, dass es dann zum Interessenskonflikt kommt. Jede*r möchte in diesem Moment etwas anderes. Je klarer und deutlicher Sie Ihrem Kind erklären, wieso Sie das oder jenes machen oder wollen, desto eher lernt es auch, seine eigenen Ansprüche anzumelden. Streit kann also anregend und klärend sein – wenn er zu einer Lösung kommt. Dann wirkt der Streit sprichwörtlich wie das „reinigende Gewitter“. Alle können wieder befreit durchatmen, das Problem, um das es ging, wurde gelöst, und keiner ist dem anderen mehr böse.

Es gibt Familien, in denen wird oft gestritten, in anderen weniger, bei manchen geht es lautstark zu, bei anderen leise. Da gibt es kein „besser“ oder „schlechter“. Denn Streit hat in Beziehungen eine wichtige Aufgabe: In der Auseinandersetzung schaffen wir uns Klarheit darüber, wo wir stehen und wo unser Gegenüber steht. Streit ist auch ein Widerstand, an dem man wachsen kann. Das ist für ein Kind besonders wichtig: Es lernt seine Meinung auszudrücken und zu vertreten. Wenn Eltern ein Klima schaffen, in dem Streit erlaubt ist, spüren Kinder, dass sie auch dann geliebt werden, wenn sie etwas anderes wollen als die Eltern oder anderer Meinung sind.

Ungute Streitsituationen hingegen hinterlassen meist bei allen Beteiligten, zumindest aber bei einem, ein schlechtes Gefühl. Nichts ist bereinigt, und der Konflikt schwelt weiter, bis er beim nächsten, meist nichtigen Anlass wieder hochkommt. Ungelöste Streitsituationen sind daran zu erkennen, dass sie immer wieder in ähnlicher Form auftreten. Dies zeigt, dass das zugrunde liegende Problem nicht gelöst wurde. Manchmal schleicht sich so in Familien ein gereizter Dauerton ein – Streitereien werden zur (Dauer-)Belastung.

Viele Konflikte entzünden sich an den immer gleichen alltäglichen Themen wie Ordnung, Essen, Pünktlichkeit. Zur Einleitung ertönen die immer gleichen Vorwürfe: „Musst du immer...?!“, oder: „Hast du schon wieder...?!“ Kein Wunder, wenn die*der Angesprochene auf Durchzug schaltet! Wenn man sich bei solchen generellen Anklagen ertappt, hilft es, einmal innezuhalten und zu überlegen, worum es wirklich geht. Mit Abstand und in einer ruhigen Situation kann man besser gemeinsam mit dem Kind überlegen, welche Lösung sich für das Problem finden lässt. Manchmal ist der Auslöser für einen Streit einfach ein Missverständnis oder eine unausgesprochene Erwartung. Bevor Eltern wütend lospoltern, sollten sie nachfragen, ob das Kind überhaupt weiß, worum es ihnen geht.

Manchmal sind ja die Schuhe, die im Flur herumliegen, nur der Auslöser, an dem sich die eigene Spannung entlädt: Ärger in der Arbeit, Krach in der Partnerschaft, der*die Expartner*in oder Existenzsorgen. Es passiert jedem Menschen einmal, dass er seinen Missmut am falschen Gegenüber auslässt. Das ist dann kein Beinbruch, wenn man es merkt und sich entschuldigt – und solche kleinen Ausraster den anderen Familienmitgliedern ebenfalls zugesteht. Auch ein Kind kommt gelegentlich gereizt aus der Schule zurück, weil es sich mit einem anderen Kind gestritten hat, vielleicht gehänselt wurde oder sich ungerecht von der Lehrkraft behandelt fühlt. Da reicht eine kleine, harmlose Bemerkung von Ihnen und schon explodiert es!

Es gibt eine Form des Streitens, die besonders verhängnisvoll ist: vorwurfsvolles Schweigen. Dagegen kann sich gerade ein Kind kaum wehren. Es fühlt sich elend, ohne genau zu wissen, was es „verbrochen“ hat oder wie es wieder „gut“ mit Mama oder Papa sein kann. Jedes Kind braucht die Erfahrung, dass es streiten darf – mit allen.

Wie gewaltfreie Erziehung gelingen kann, lesen Sie auch in unserer Broschüre Grenzen setzen mit Respekt – gewaltfreie Erziehung:

Gewaltfreie Kommunikation: Die richtigen Worte finden

Konflikte sind unvermeidbar, wenn – wie zum Beispiel in einer Familie – ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammenkommen. Streit ist daher erst mal nichts Schlimmes, wenn er denn richtig geführt wird. Dass körperliche Gewalt ein Tabu ist, darin stimmen sicher alle überein, aber Gewalt kann eben auch mit Worten oder anderem Verhalten ausgedrückt werden, indem wir zum Beispiel Dinge im Streit sagen, die verletzend oder abwertend sind. Mal ganz abgesehen davon, dass solche Äußerungen die Gefühle von Menschen verletzen, führen sie meist nicht zur Konfliktlösung. Statt Einigung führt ein böses Wort zum anderen, und am Ende ist der Streit nicht beigelegt, sondern wurde vielleicht sogar noch schlimmer.

Der US-amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg hat daher eine Methode zur „gewaltfreien Kommunikation“ entwickelt, die sich nicht nur im Arbeitsumfeld oder in der Politik, sondern auch in Familien anwenden lässt. Denn beim Streiten kommt es ganz entscheidend darauf an, wie man gewisse Dinge sagt. Schauen wir uns zum Beispiel den Dauerbrennerkonflikt in vielen Familien etwas genauer an: das abendliche Insbettbringen. Sie fordern Ihr Kind mehrmals auf, dass es sich die Zähne putzen und den Schlafanzug anziehen soll. Ihr Kind aber ist noch mitten im Spiel oder lässt sich viel Zeit beim Fertigmachen. Statt nun zu sagen: „Jeden Abend ist es das gleiche Theater mit dir, jetzt habe ich schon fünfmal gesagt, du sollst die Zähne putzen, aber du hörst einfach nicht“, können Sie die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation anwenden.

  1. Beobachtung
  2. Gefühl
  3. Bedürfnis
  4. Bitte

Was passiert gerade? Warum brodelt es in mir? Schauen Sie sich die Situation erst einmal ganz wertfrei an und sagen Sie, was Ihnen auffällt. Sie stellen also fest, es ist Zeit fürs Bett und Ihr Kind ist noch nicht fertig (Beobachtung). Darüber sind Sie verärgert (Gefühl). Sie möchten, dass Ihr Kind morgen für die Schule ausgeschlafen ist, und darüber hinaus noch ein oder zwei Stunden am Abend für sich haben (Bedürfnis). Genau das sollten Sie so Ihrem Kind in einem ruhigen, aber bestimmten Ton sagen: „Du bist noch nicht fertig fürs Bett. Ich möchte, dass du morgen ausgeschlafen bist und brauche jetzt noch ein bisschen Ruhe, bevor ich selbst schlafen gehe. Bitte zieh jetzt deinen Schlafanzug an.“

Gewaltfreie Kommunikation lässt sich auch bei Streitigkeiten unter Eltern und Paaren anwenden. Probieren Sie es doch einfach mal aus! Denn es ist wichtig, dass Eltern „gut“ miteinander streiten können. Ungelöste Konflikte zwischen den Eltern werden von einem Kind genau wahrgenommen, auch wenn sie sich nicht vor seinen Augen streiten. Wenn Eltern streiten, kann das Kindern große Angst machen. In einer solchen Situation versuchen sie manchmal unbewusst mitzuhelfen, das Leben in der Familie zu „retten“: Sie benehmen sich auffällig, stellen etwas an, werden krank – nur damit die Eltern sich mit ihnen beschäftigen müssen und von ihrem Konflikt abgelenkt werden. Sehr oft glauben Kinder auch, sie seien schuld an der ewigen Streiterei.

Kinder, die sich für die Beziehung ihrer Eltern mitverantwortlich fühlen, sind hoffnungslos überfordert. Es ist daher sehr wichtig, dass beide Elternteile ihrem Kind versichern, dass der Streit allein eine Angelegenheit zwischen den Eltern ist, an der es bestimmt keine Schuld hat.

Erlebt ein Kind mit, dass Eltern sich streiten, aber auch wieder versöhnen und einen gemeinsamen Weg finden, dann lernt es, dass Konflikte gemeinsam gelöst werden können.

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