Erziehung in der Autonomiephase

Ihr Kind möchte am liebsten alles alleine schaffen, doch manchmal stößt es dabei an seine Grenzen – und bekommt einen Wutanfall. Wir geben Tipps wie Sie die Autonomiephase meistern.

Text: so viele Grenzen wie nötig, aber so wenige wie möglich

Gelassen bleiben – auch wenn es manchmal schwerfällt

Wir haben im 14. Elternbrief bereits geschrieben, wie wichtig die Autonomiephase für Ihr Kind ist. Es wird immer selbstständiger und entwickelt seinen eigenen Willen. Doch es gibt oft Situationen, in denen Ihr Kind an seine Grenzen stößt oder etwas nicht so läuft, wie es sich das vorgestellt hat. Wenn es zum Beispiel auf den Aufzugknopf drücken wollte, Sie das aber in der Eile schon selbst gemacht haben, kann das einen ordentlichen Gefühlsausbruch auslösen. „Meine Güte, ist doch nicht so schlimm“, werden Sie sich denken. Für Ihr Kind ist das aber in diesem Moment eine große Enttäuschung.

Was hinter diesen Ausbrüchen steckt: Ihr Kind möchte viele Dinge allein machen, aber es kann und darf nicht alles tun, was es möchte. Erfolg und Misserfolg liegen für ein Zweijähriges oft dicht beieinander. Das kann ein kleines Kind schon an den Rand der Verzweiflung bringen! Und Erwachsene dadurch auch. Es ist nicht leicht, Ruhe zu bewahren, wenn sich Ihr Kind auf dem Boden wälzt, brüllt und um sich schlägt. Gelassenes Abwarten hilft ihm und Ihnen jetzt am ehesten. Bleiben Sie ruhig und versuchen Sie nicht, auf Ihr Kind einzureden, zu schimpfen oder zu drohen. Es hat keinen Zweck, da es Sie in dem Moment gar nicht wahrnimmt. Und ganz wichtig: Nehmen Sie das Verhalten Ihres Kindes nicht persönlich. Es möchte Sie nicht ärgern. Es kann seine Wut oder Enttäuschung einfach (noch) nicht steuern.

Gelassen bleiben? Wie soll das gehen, wenn das Kind seinen Wutanfall mitten auf der U-Bahn-Rolltreppe bekommt oder kurz vor der Haltestelle, an der Sie aussteigen müssen? In solchen Situationen können Sie nicht einfach abwarten, bis der Sturm sich legt. Da hilft nur, möglichst wenig zu reden und einfach zu handeln – etwa das Kind auf den Arm oder an die Hand nehmen. Vermitteln Sie Ihm durch Ihre Haltung: „Ich weiß, dir ist fürchterlich zumute, aber das geht vorüber, und da müssen wir jetzt durch.“ Denken Sie immer daran: Die Autonomiephase ist ein schwieriges, aber sehr wichtiges Teilstück auf dem langen Weg in die Selbstständigkeit.

Der sichere Rahmen: Freiräume und Grenzen

Ihr Kind kommt gerade in der Autonomiephase nicht nur häufig an seine eigenen Grenzen, weil es zum Beispiel bestimmte Dinge noch nicht allein schafft, sondern auch an die Grenzen, die Sie ihm aufzeigen. Wo Sie diese ziehen und welche Regeln Sie in Ihrer Familie aufstellen, ist Ihre persönliche Entscheidung. Wichtig ist vor allem, dass Sie diese Grenzen und Regeln freundlich, deutlich und ehrlich ausdrücken. Wahrscheinlich müssen Sie diese Grenzen und Regeln noch oft geduldig wiederholen. So geben Sie Ihrem Kind Orientierung und Halt und helfen ihm, sich in der Welt zurechtzufinden.

Eltern geben den Rahmen vor, in dem sich das Kind frei bewegen und entfalten kann. Anstatt für jede erdenkliche Situation eine eigene Regel aufzustellen, sollten Sie sich überlegen, welche Dinge Ihnen wirklich wichtig und welche Grenzen sinnvoll sind. Was wollen Sie mit Ihrer Erziehung erreichen, welches Verhalten Ihres Kindes ist Ihnen wichtig? Hier ein paar Anregungen:

  • Sie möchten Ihre eigenen Bedürfnisse schützen: Ihr Kind möchte noch länger auf dem Spielplatz bleiben, Sie müssen aber andere Dinge erledigen. Geben Sie Ihm noch eine kurze Zeit, um sein Spiel zu beenden. Sagen Sie zum Beispiel: „Du kannst deinen Sandkuchen noch fertig backen. Wenn ich dich das nächste Mal rufe, packen wir zusammen, weil wir noch einkaufen müssen“. Das gemeinsame Zusammenleben kann nur funktionieren, wenn die Bedürfnisse aller Familienmitglieder, also auch Ihre eigenen, ernst genommen werden.
  • Sie möchten Ihr Kind schützen: Ihr Kind möchte mit dem Laufrad auf der Autostraße spielen, kann aber die Gefahren im Straßenverkehr noch nicht einschätzen. Sie bieten ihm einen anderen Weg an, auf dem es sicher fahren kann.
  • Sie möchten sich und andere schützen: Wenn Ihr Kind Sie in die Hand beißt oder ein anderes Kind an den Haaren zieht, machen Sie deutlich, dass das wehtut, und beenden Sie die Situation. Sprechen Sie Ihr Kind ruhig mit Namen an und sorgen Sie für einen körperlichen „Sicherheitsabstand“, damit sich beide beruhigen können.
  • Sie möchten Dinge schützen, die Ihnen lieb und teuer sind: Wenn Ihr Kind zum Beispiel einen Ball gegen die Lampe wirft, können Sie deutlich sagen, dass Sie das nicht möchten und Ihrem Spross einen anderen Platz zum Ballwerfen zeigen.

Diese Beispiele sind nur einige wenige. Es gibt Hunderte andere. Die Faustregel lautet: so viele Grenzen wie nötig, aber so wenige wie möglich.

Positive Regeln aufstellen

Regeln sind nur dann sinnvoll, wenn sie auch eingehalten werden. Statt aber Verbote zu erteilen, stellen Sie am besten „positive“ Regeln auf. Einige Beispiele: „Vor dem Essen wäschst du dir die Hände!“ Das ist eine einfache Routine, die jedes Kind versteht. Es macht aber eben einen großen Unterschied, ob Sie sagen: „Wasch dir bitte die Hände“ oder „Mit schmutzigen Fingern kommst du nicht an den Tisch.“ Sagen Sie Ihrem Kind, was Sie von ihm möchten und erwarten. „Alle Kuscheltiere kommen in die blaue Kiste.“ Nicht: „Räum dein Zimmer auf!“ Oder „Ich möchte, dass du an meiner Hand über die Straße gehst.“ Nicht: „Lauf ja nicht weg.“ Für Ihr Kind macht das einen großen Unterschied. Denn nur wenn es weiß, was Sie erwarten, kann es die Regeln auch umsetzen.

Konzentrieren Sie sich auf das, was Ihr Kind gut macht:

Oftmals übersehen wir im stressigen Alltag, dass unsere Kinder schon viele Alltagssituationen bewältigen, und reagieren vor allem auf die Dinge, die noch nicht so gut laufen. Konzentrieren Sie sich lieber auf das, was Ihr Kind schon gelernt hat. Nehmen Sie wahr, wenn Ihr Kind seine Nudeln ganz selbstverständlich mit der Gabel isst, es seine Bauklötze wieder in die Kiste räumt oder einfach wartet, während Sie ein Telefonat führen. Hierfür braucht es kein überschwängliches Lob. Wenn Sie diese Momente jedoch wahrnehmen und sich mit einem Lächeln dafür bedanken, stärkt dies Ihr Kind und motiviert es, sich auch in Zukunft so zu verhalten. Und Sie ändern damit Ihre Einstellung. Seien Sie optimistisch und gehen Sie immer erst mal davon aus, dass Ihr Kind das „Richtige“ tun möchte. Es macht eben einen Unterschied, ob jemand uns sagt: „Du schaffst das, ich glaub an dich“ oder „Puh, das wird bestimmt wieder schwierig mit dir.“

Umgekehrt können Sie Ihrem Kind zeigen, dass Sie es ernst nehmen. Wenn es Nein sagt, weil es gerade nicht beim Spielen gestört und gewickelt werden möchte, dann können Sie sagen: „Okay, dann warte ich noch fünf Minuten, und dann ziehen wir dir gemeinsam eine frische Windel an.“

Konsequent und liebevoll bleiben: Eltern und Kinder sind keine Roboter

Ihr Kind wird sich oft nicht so verhalten, wie Sie es sich wünschen. Dann braucht es von Ihnen eine Antwort auf sein Verhalten. Damit sind aber nicht Bestrafungen gemeint. Wenn Sie Ihr Kind ausschimpfen oder anschreien, lernt es nichts. Beim nächsten Mal wird es zwar vielleicht nicht mehr die Wand mit Stiften bemalen, aber auch nur, weil es nicht wieder ausgeschimpft werden möchte. Statt zu schimpfen, können Sie ruhig und bestimmt sagen: „Ich möchte nicht, dass du die Wände bemalst, hier hast du ein großes Blatt Papier. Darauf kannst du malen.“

Auch Sie sind nicht jeden Tag in derselben Stimmung. An einem Tag ist es Ihnen vielleicht sehr wichtig, dass Ihr Kind nicht mit dem Essen spielt, am nächsten Tag haben Sie dafür keinen Kopf und lassen es mit den Erbsen matschen. Setzen Sie sich nicht zu sehr unter Druck. Eltern sind auch nur Menschen, die manchmal geduldiger und manchmal ungeduldiger sind. Dies ist Kindern zumutbar. Je verlässlicher Sie in Ihren Aussagen sind, desto einfacher wird es für Ihr Kind, sich daran zu halten und Sie zu verstehen. Hier hilft es, nur einige, aber dafür „goldene“ Regeln aufzustellen. Das macht es für alle Familienmitglieder leichter.

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