Willkommen in der Autonomiephase!

Die Geburt eines Kindes ist lebensverändernd. Gefühle von Glück und Überforderung liegen oft nah beieinander. Hier lesen Sie, auf was Sie in der Anfangsphase achten sollten.

Kleinkind schreit trotzig

Nein! Nein! Alles nur eine Phase

Vielleicht kennen Sie diese Situationen: Ihr Kind möchte die Banane am Stück essen, Sie haben sie aber kleingeschnitten, und plötzlich wirft es sich auf den Boden, schreit und bekommt einen roten Kopf. Oder Sie wollen ihm den Schlafanzug anziehen und Ihr Kind versteift und wehrt sich mit aller Kraft, weil es sich jetzt nicht umziehen lassen möchte. Kommt Ihnen das bekannt vor? Willkommen in der Autonomiephase!

Mit etwa 15 bis 18 Monaten startet diese – früher auch als „Trotzphase“ bezeichnete – sehr wichtige Entwicklung. Sie äußert sich oft durch Wutanfälle und lautstarken Protest. Das kann bis ins vierte Lebensjahr immer wieder auftreten. Bei manchen Kindern mehr, bei anderen weniger. Die Ursachen für die heftigen Reaktionen sind aus der Sicht von uns Erwachsenen oft Kleinigkeiten. Für Kinder im zweiten Lebensjahr kann es aber zum Beispiel eine Katastrophe sein, wenn die Butter auf dem warmen Toast schmilzt. Doch was steckt dahinter?

Etwa ab der Hälfte des zweiten Lebensjahres fangen Kinder langsam an zu verstehen, dass sie eigenständige Wesen mit einem eigenen Willen sind. Sie entdecken zum ersten Mal: Ich bin ich. Mama, Papa oder meine Freund*innen aus der Kinderkrippe oder Spielgruppe sind andere Personen. Und ich habe eine eigene Vorstellung davon, wie etwas zu sein hat. Dass diese oft mit den Vorstellungen der Erwachsenen nicht zusammenpasst, können Sie als Eltern sich natürlich denken!

Hinter den Wutanfällen steckt jedoch nicht nur der Wunsch nach Selbstbestimmung. Die kindlichen Gehirnstrukturen lassen eine Gefühlskontrolle noch nicht zu. Die Kinder werden von ihren Emotionen regelrecht überwältigt. Das können Sie auch beobachten, wenn Kinder lachen. Sie zeigen so deutlich, wenn sie sich freuen oder glücklich sind, dass wir Erwachsenen uns sofort davon anstecken lassen. Wenn Kinder in diesem Alter wütend sind, zeigen sie dies ebenso deutlich und ungefiltert. Ihr Kind benötigt nun Halt und Orientierung durch Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen. In dieser wichtigen Entwicklungsphase lernt Ihr Kind nach und nach, seine Gefühle selbst zu steuern. Das ist alles andere als einfach, und selbst wir Erwachsenen haben oft noch Schwierigkeiten damit. Wieso sollte es einem 18 Monate alten Kind da anders gehen? In den folgenden Elternbriefen werden wir daher immer wieder auf dieses Thema eingehen.

Gelassen bleiben: So reagieren Sie bei einem kindlichen Wutanfall

Eine Zauberformel für den Umgang mit Wutanfällen gibt es leider nicht, doch wenn Ihr Kind tobt, schreit und vielleicht sogar um sich schlägt, versuchen Sie diese Verhaltenstipps zu beherzigen:

  • Sorgen Sie für Sicherheit, sodass Ihr Kind weder sich noch andere verletzen kann.
  • Bleiben Sie ruhig und versuchen Sie nicht, auf Ihr Kind einzureden, zu schimpfen oder zu drohen. Es hat keinen Zweck, da es Ihre Worte in diesem Moment gar nicht wahrnimmt.
  • Nehmen Sie das Verhalten Ihres Kindes nicht persönlich. Es möchte Sie nicht ärgern. Die Autonomiephase gehört zur Entwicklung ebenso dazu wie zum Beispiel das Zahnen.
  • Wenn sich Ihr Kind wieder etwas beruhigt hat, dann braucht es meist Ihren Trost. Das geht am besten, indem Sie es in den Arm nehmen, sobald es dies zulässt. Sie können Verständnis äußern, indem Sie beispielsweise sagen: „Ich weiß, das hat dich jetzt sehr geärgert.“
  • Wenn Ihr Kind nicht in den Arm genommen werden möchte, können Sie versuchen, es mithilfe Ihrer Stimmlage, Mimik und Gestik zu beruhigen und zu erreichen. Zuwendung hilft.
  • Seien Sie verständnisvoll, aber geben Sie auch nicht nach. Wenn Sie Ihrem Kind keine Süßigkeiten an der Supermarktkasse kaufen möchten, dann tun Sie dies auch nicht – trotz lautstarkem Protest und Geschrei.
  • Sie können nicht jeden Frust von Ihrem Kind fernhalten, aber manche Situationen lassen sich vielleicht vermeiden: Generell ist es zum Beispiel keine gute Idee, mit einem müden und hungrigen Kind noch schnell zum Einkaufen zu fahren. Sie können vielleicht auch darauf verzichten, dem ohnehin schon quengeligen Kind am Nachmittag noch den fleckigen Pulli zu wechseln. In solchen Momenten ist Beziehung und Harmonie wichtiger als Sauberkeit oder Perfektion.
  • Geben Sie Ihrem Kind Wahlmöglichkeiten, zum Beispiel: „Du kannst die rote oder die blaue Strumpfhose anziehen. Was ist dir lieber?“ Dass Kinder im Winter eine Strumpfhose anziehen, damit sie sich nicht erkälten, liegt in Ihrer Verantwortung als Eltern und ist nicht die alleinige Entscheidung Ihres eineinhalbjährigen Kindes. Eine Wahlmöglichkeit zu haben erfüllt jedoch seinen Wunsch nach Selbstbestimmung.
  • Wägen Sie ab, was Ihnen wirklich wichtig ist, denn diese Ausbrüche und Auseinandersetzungen können für alle Beteiligten sehr anstrengend sein. Da Ihr Kind mit der Zeit aber lernen sollte, dass es frustrierende Situationen bewältigen kann, sollten Sie natürlich nicht jedem Konflikt aus dem Weg gehen, nur damit Ruhe ist.

Immer verständnisvoll und ruhig zu bleiben, ist natürlich viel verlangt. Es fällt Ihnen sicher leichter, die Gefühle Ihres Kindes auszuhalten, wenn Sie verstehen, dass es all dies nicht tut, um Sie zu ärgern. Ihr Kind verhält sich nicht ohne Grund so, sondern aus seiner Sicht gibt es immer einen Auslöser für sein Verhalten.

Sie können und müssen nicht immer „perfekt“ reagieren. Das ist nahezu unmöglich und gelingt nicht mal Pädagogik-Professor*innen. Jeder ist irgendwann gefrustet und genervt. Nehmen Sie sich dann am besten aus der Situation heraus und atmen Sie tief durch. Gerade jetzt braucht Ihr Kind ein Vorbild, das sich nicht von Gefühlen mitreißen lässt. Wenn Sie sich beruhigen, kann Ihr Kind von Ihnen auch lernen, mit seinen Gefühlen umzugehen.

Die gute Nachricht zum Schluss: Auch diese heftigen Ausbrüche gehen irgendwann vorbei beziehungsweise werden weniger. Mit jeder Erfahrung, jedem Frust lernen Kinder ihre Gefühle besser kennen. Sie können nicht alles vermeiden, was Ihr Kind frustriert, und das sollten Sie auch gar nicht. Denn nur durch das Erleben kann Ihr Kind lernen, mit seinen Gefühlen umzugehen. Das wird ihm im späteren Leben sehr helfen, wenn es mit Konflikten allein umgehen muss.

Lass mich machen, aber lass mich nicht allein!

In der Autonomiephase möchte Ihr Kind nun alles allein machen, doch gleichzeitig hat es auch Angst vor dem Alleinsein oder davor, allein gelassen zu werden. Das ist normal und kein Widerspruch. Manchmal überkommt es ein Kind plötzlich, mitten im Spiel: Es ruft verzweifelt nach der Mutter oder dem Vater, weil es plötzlich bemerkt hat, dass es allein im Zimmer ist. Das Wechselspiel zwischen dem „Sich-von-den-Eltern-Entfernen“ und „Geborgenheit-bei-den-Eltern-Suchen“ beginnt im zweiten Lebensjahr.

Es wird Kind und Eltern die nächsten Jahre begleiten. Dazu kann auch gehören, dass Ihr Kind nun häufiger wieder nachts aufwacht und in Ihr Bett kommen will.

Die Angst, von den Eltern getrennt zu sein oder sogar verlassen zu werden, ist bei jedem Kind unterschiedlich stark ausgeprägt. Manche Kinder verbringen ein Wochenende bei Oma und Opa, ohne ein einziges Mal nach Mama oder Papa zu fragen, andere fangen bereits nach zwei Stunden ohne Eltern an zu weinen und brauchen lange, bis sie allein woanders bleiben wollen.

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