Grenzen und Freiräume

Regeln geben Sicherheit, Schutz und Orientierung. Dazu müssen Sie manchmal auch Nein sagen, jedoch nicht um jeden Preis.

Stop-Schild

Wie viel Nein muss sein?

Je größer der Entdeckungsdrang Ihres Kindes wird, desto häufiger stößt es nun an Grenzen. Wenn es zum Beispiel die Steckdose untersucht oder die Blumenerde im Wohnzimmer verteilt, wird es von Ihnen nun das Wort Nein hören und erst einmal gar nicht verstehen, was Sie nun genau von ihm wollen. Wichtiger als Worte sind deshalb vor allem Taten. Wenn Ihr Kind mit der Rassel gegen die Wand hämmert, dann sollten Sie nicht nur Nein sagen, sondern es auch dabei behutsam wegsetzen. So ist es für Ihr Kind einfacher zu verstehen, was dieses Wort Nein bedeutet. Außerdem ist es wichtig, wie Sie etwas sagen: Der Ton Ihrer Stimme, Ihr Gesichtsausdruck und die Gesten, mit denen Sie das Kind zurückhalten, sind entscheidend. Seien Sie freundlich und bestimmt. Erklären Sie auch, warum Sie Nein sagen. Wenn Ihr Kind zum Beispiel nach der der Schüssel mit dem Katzenfutter greifen will, können Sie sagen: „Ah, das interessiert dich, aber das Katzenfutter ist nicht gesund für dich.“ Auch wenn es das Gesagte noch nicht versteht, erfährt Ihr Kind dadurch, dass Sie diese Verbote ebenso wichtig nehmen wie seine Wünsche. Nehmen Sie die Bedürfnisse Ihres Kindes ernst, aber setzen Sie da, wo nötig, trotzdem Grenzen, und haben Sie vor allem eins: Geduld!

In diesem Alter leben Kinder noch ganz im Hier und Jetzt. Wenn Sie vor fünf Minuten Nein gesagt haben, als es beispielsweise nach Ihrer Kaffeetasse griff, so hat es dieses Nein jetzt schon wieder vergessen und sieht nur die Tasse, die es haben will. Da hilft erst mal nur wohlwollende Wiederholung, wieder und wieder.

Grenzen setzen – Freiraum geben

Grenzen sind nicht nur Einschränkungen. Sie geben auch Sicherheit und Schutz. Und das nicht nur vor körperlichen Gefahren – sie helfen Ihrem Kind auch, sich in der Welt zurechtzufinden. Ihre Aufgabe als Eltern ist es nun, Ihr Kind in seiner Entwicklung zu unterstützen. Sie stecken die Grenzen ab, innerhalb derer sich Ihr Kind frei bewegen kann. Geben Sie ihm die Chance, Dinge auszuprobieren und seine eigenen Erfahrungen zu machen. Denn mit Verboten, die aus der ständigen Angst ausgesprochen werden, das Kind könne sich verletzen, tun Sie Ihrem Kind keinen Gefallen. Ein Kind, das immer aufgefangen wird, wenn es versucht, sich vom niedrigen Sofa herunterzukullern, lernt nicht, vorsichtig zu sein, weil es nie die Erfahrung gemacht hat, dass es runterfallen kann. Legen Sie lieber ein großes Kissen oder eine flache Matratze vors Sofa. So lernt es gleichzeitig viel über die Macht der Schwerkraft.

Das erste Aufweisen von Grenzen gegenüber dem Kind erfordert viel Geduld. Es ist wahrscheinlich, dass Ihnen hin und wieder der Geduldsfaden reißt. Vielleicht sind Sie heute einfach anders drauf als gestern oder noch vor einer Stunde. Zum Beispiel lieben Sie es vielleicht, wenn das Kind beim Stillen mit Ihren Haaren spielt; doch manchmal geht es Ihnen auf die Nerven oder es zieht so heftig, dass es wehtut. Das sollten Sie ihm deutlich zeigen, denn dies bedeutet nicht, dass Sie launisch sind. Ihr Kind lernt so, dass Gefühle und Stimmungen nicht immer gleich sind, bei anderen Menschen genauso wenig wie bei ihm selbst.

Machen Sie sich und Ihrem Kind das Leben nicht zu schwer und sprechen Sie nicht zu viele Verbote aus. Sie sollten für sich und Ihre Familie die Regeln aufstellen, die Ihnen wichtig sind. Indem Sie Ihrem Kind erklären, warum Sie etwas verbieten, überprüfen Sie auch vor sich selbst, warum Sie es aussprechen und ob es wirklich notwendig ist. Sie können sich selbst die Frage stellen: „Was kann passieren, wenn ich ihm dies oder jenes erlaube?“ Mit allzu vielen Regeln schränken Sie nicht nur Ihr Kind ein, sondern auch sich selbst. Wenn Sie aber Nein gesagt haben, dann sollte das Verbot auch gelten, solange es sinnvoll ist. Das gibt Ihrem Kind Orientierung. Manche Verbote passen irgendwann nicht mehr – wie der zu kurz gewordene Strampler. Konsequenz um jeden Preis ist kein Zeichen von guter Erziehung, sondern von Unnachgiebigkeit und Härte. Unsicher und haltlos wird ein Kind allerdings, wenn die Erwartungen der Eltern es überfordern oder unberechenbar sind. Wenn sich die Regeln ständig ändern, weiß es nie, was Sie von ihm wollen und wie es sich verhalten soll.

Eigene Ängste: Ein Zuviel an Fürsorge

Alle Eltern haben Sorgen und Ängste, dass Ihr Kind sich verletzt oder schlechte Erfahrungen macht. Die einen zeigen sich dabei trotzdem gelassen, die anderen zeigen ein Übermaß an Fürsorglichkeit. Sie setzen schnell Grenzen und greifen sehr frühzeitig ein, wenn das Kind Neues ausprobiert. Eine Herausforderung für Sie als Eltern ist es zu unterscheiden, wann Sie Ihre eigenen Ängste auf das Kind übertragen und wann wirkliche Gefahren bestehen. Denn vor diesen müssen Sie Ihr Kind beschützen und nicht vor allen Unannehmlichkeiten des Lebens. Jedes „Achtung“ und „Pass auf“ verunsichert das Kind und nimmt ihm die Möglichkeit, sich ganz auf das zu konzentrieren, was es gerade macht. Jede Situation, die es ohne Ihr Eingreifen bewältigt, stärkt sein Selbstbewusstsein und gibt ihm ein Stück mehr Sicherheit in dieser Welt.

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